oder wie gefährlich ist die Massenliteratur?

Wake up from a living sleep
Demons rise up 

:: Wire – Time Lock Fog ::

Und so jahrhundertelang 

ignorieren und verbannen was nicht passt 

alles und jeder hat sich passend gemacht

und keiner ist aufgewacht aus dem falschen traum

es wird geschwiegen, kluggeschissen, gewundert oder gehetzt

und der faschismus wird fortgesetzt …

fast per gesetz.

Von :: Elizabeta Kostadinovska ::

So ist es, mit anderen Worten hat es Oscar Wilde* vor über 100 Jahren gesagt und ich nehme mir die Freiheit, seine Worte zu verwenden: 

„Unser Jahrhundert ist wirklich von allen das trübseligste und prosaischste. Wahrhaftig, sogar der Schlaf hat sein Antlitz vertauscht und hat die Elfenbeintore verschlossen und die Tore aus Horn geöffnet. Die Träume der großen Mittelklassen in England (!Europa!) sind, wie aus den zwei umfangreichen Bänden des Herrn Myers über den Gegenstand und den Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft hervorgeht, das tristeste, wovon ich je gelesen habe. Nicht einmal ein anständiger Alpdruck findet sich darunter. Es sind Dutzendträume, voller Häßlichkeit und Langerweile.“

Die bis heute noch die Welt, die Kultur, die Literatur beherrschen und bestimmen … Die nie enden wollende Mittelmäßigkeit. Denn es gibt eine Menge Mittelmäßige, die für die Mittelmäßigen weiterschreiben und im Mittelpunkt stehen, versuchen Kunst zu machen, oder sie zumindest nachzuahmen, scheitern aber grandios und produzieren Langeweile, oder im besten Fall immerwiederdasselbeundnichtsneues im Prozess des Selbstrezyklierens… und die Durchschnittsleser:innen, die nicht weiterdenken können und wollen, unterstützen dieses Mittelmaß brav und bilden sich ein, intellektuell zu sein und richtig zu handeln, ohne zu merken, dass das was sie preisen, nichts mit Kunst :: K-U-N-S-T :: zu tun hat. Es ist Massenkunst. Denn sie tun und lesen nur, was ihnen gesagt wird… Literatur als Kunst sollte die Schönheit des Denkens transportieren und nicht die Langeweile der Alltagsgeschichten, der Naturschönheit und der Familiensagas… oder irgendwelche pseudoinnovativkünstlerische Klugscheißerei… und warum es immer noch so ist, wie es vor 100 Jahren war, sagt uns wieder Oscar Wilde:

„Die Gesellschaft verzeiht oft dem Verbrecher; sie verzeiht nie dem Träumer. Die schönen, zwecklosen Empfindungen, die die Kunst in uns aufregt, sind in ihren Augen hassenswürdig, und so völlig sind die Menschen von der Tyrannei dieses schrecklichen Gesellschaftsideals beherrscht, daß sie auf Ausstellungen und an andern Orten, die dem allgemeinen Publikum geöffnet sind, schamlos auf einen zukommen und mit lauter Stentorstimme fragen: ‚Was tun Sie?‘ während doch: ‚Was denken Sie?‘ die einzige Frage ist, die ein irgend gebildeter Mensch einem andern zuflüstern dürfte. Sie meinen es gut, ohne Zweifel, diese ehrenwerten, strahlenden Leute. Vielleicht ist das der Grund, warum sie so überaus langweilig sind. Aber irgend jemand sollte ihnen beibringen, daß zwar nach der Meinung der Gesellschaft Beschaulichkeit die schwerste Sünde ist, deren ein Bürger sich schuldig machen kann, daß aber nach der Meinung der höchsten Kultur sie das eigentliche Geschäft des Menschen ist.“

Ja, die literarische Langeweile, die viele anspricht und die viele hochschätzen, bringt kein Denken zustande, weder fordert sie es, noch spornt sie es an. Denn die literarische Möchtegernekunst ist pure Langeweile überschüttet mit Preisen und Anerkennungen, die den Teufelskreis drehen und dem Faschismus wieder helfen, aufzusteigen, denn der Durchschnitt will ja nur seine Ruhe und Pseudogemütlichkeit, aber wenn alles eskaliert, und genug Adrenalin da ist, liebt er das Staunen: WAS??? WIE??? Überraschung! … obwohl es eben keine sein sollte… wenn man vor-denken und mit Kunst und Kritik fortschrittlich fortfahren würde, anstatt mit der Langeweile voran in den Abgrund zu schreiten. 

Leider, nicht viele lesen qualitative Literatur, weil sie selten nach oben in die Öffentlichkeit kommt, dennoch, viele derjenigen, die glauben was Besseres zu lesen, sind auch das Mittelmaß, das sich von den Empfehlungen in Feuilletons oder Buchbesprechungen beraten lässt – aber am Ende, eigentlich nur den Betrieb (und seinen Teufelskreis) fördert, und das Ganze ist auch so ähnlich, wie Wilde sagt: „Die Mittelmäßigkeit wiegt die Mittelmäßigkeit und hält ihr das Gleichgewicht, und die Unfähigkeit klatscht der Unfähigkeit zu – das ist das Schauspiel, das uns die künstlerische Betätigung von Zeit zu Zeit bietet. Und doch habe ich das Gefühl, das ein bißchen ungerecht ausgedrückt zu haben. In der Regel stehen die Kritiker – ich spreche natürlich von den besseren, das heißt von denen, die für die billigeren Blätter schreiben – geistig viel höher als die Menschen, deren Werke sie zu rezensieren haben. Auch ist von vornherein nichts anderes zu erwarten, denn die Kritik verlangt unendlich mehr Bildung als das Schaffen.“

 – denn das Mittelmaß oder schöner klingend: Der Durchschnitt – ist heilig**, als Publikum, denn es unterstützt die Wirtschaftlichkeit der Literatur:

der Durchschnitt bestimmt was erfolgreich ist, der Durchschnitt ist verantwortlich dafür, dass der Durchschnitt die Kultur (Mainstream) beherrscht und die Kunst permanent im Untergrund bleibt. Mit weiteren Klischees ausgedrückt: Die Künstler:innen, die sich mit „Lügen zum Zwecke der Wahrheit“, Stil und Besonderheit auszeichnen, bleiben arm und sterben meistens arm und werden wie eh und je, viele Jahre nach dem Tod von genau diesem Durchschnitt hochgelobt und gefeiert… oft guckt der Durchschnitt zu, wie progressive Menschen verhaftet und bestraft werden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben – und in der Zukunft werden diese Progressiven von dem gleichgesinnten Durchschnitt hochgepriesen. Wie sie es mit Oscar Wilde tun. Obwohl der Durchschnitt aufbaufähig wäre… der Geist ist offen für mehr, nur …

Der Durchschnitt ist heilig**, als Künstler:innen/Autor:innen: der Durchschnitt will unbedingt auch selber Künstler:in sein und das tut er auch, weil heutzutage jeder schreiben und veröffentlichen kann, er muss nur versuchen, Kunst zu schaffen, hartnäckig und handwerklich und am Ende hat man doch Erfolg damit, denn das Talent zählt nicht, man braucht es auch nicht, denn der Durchschnitt handelt in Gruppen und ist am stärksten unter sich und verhindert jeden anderen ungewöhnlichen, klugen, großartigen Gedanken, nur weil er ihm fern ist… Denn der Durchschnitt verachtet den Geist und beherrscht alles und wird auch „berühmt“ in der Gegenwart, denn er ist gefällig, gelobt und unterstützt von Durchschnittskritiker:innen und –Kolleg:innen und dem oben genannten Publikum…  und vor allem von dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen System, von dem Literaturbetrieb – dazu gehört auch der freie Literaturbetrieb, der glaubt, dass er unabhängig und indie ist, aber zu geschätzten 70% den Großen Bruder nachahmt… So viel Aufwand für die Gegenwart, denn in der Zukunft bleibt von diesen Schriftsteller* und Künstler*innen nur noch die heiße Luft im Teufelskreis.

Die Literatur, die jeder schreiben und jeder „kritisieren“ (sprich: die Mittelmäßigkeit loben) kann, war und bleibt das Opium für die Massen, die Bewegungskraft des Teufelskreises… damit wir in 100 Jahren (eher weniger!) erneut sagen können: alles bleibt gleich und die Dämonen des Faschismus’ steigen wieder auf, weil die Mittelmäßigen und der Durchschnitt für immer und ewig die Welt beherrschen werden und immer nur denken werden, dass sie denken, während sie nur schlafen und im Schlaf nicken und ihre Ruhe haben und immer die nickenden Seelenverwandten finden, die sich zusammen am besten in der Langeweile unterhalten, die nicht nur künstlerisch, sondern auch menschlich und kulturell und gesellschaftlich versagen und alle in den Abgrund führen… Denn Schlafen und Träumen sind manchmal dasselbe, besonders in der sich verbreitende Langeweile und im aufsteigenden Faschismus… beide ein Ergebnis der Mittelmäßigkeit (ich tue nur, was von mir erwartet wird) – denn ein Gegenteil davon wäre der (geistige) Fortschritt, der nur durch Qualität und (konstruktive) Kritik zu erreichen ist – heißt, der ist für die Menschheit in keinem Sinne erreichbar – aber hier am Beispiel vom all zu langen Status Quo scheitern wir alle… wenn der Schlaf und der Traum zwei verschiedene schöne Sachen wären – 1. um sich zu erholen und 2. den Geist zum höheren Bewusstsein zu trainieren – würde es anders kommen…

in diesem Sinne wird das Aufwachen, ein Wunder sein – das natürlich mit „sich wundern“ weitergehen wird – zum Abgrund hin.


Oscar Wilde  
übersetzt von  Gustav LandauerHedwig LachmannZwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907

** Assoziation zum Gedicht „Denn Durchschnitt ist heilig“, das sich mit dem Thema beschäftigt, veröffentlicht in dem Gedichtband :: Zweizählig zu Besuch bei dem endlosen Abgrund :: 2020 :: SlovoKult :: Literatur/a + Art Equilibrium