:: Gedicht und Gebilde :: 3 ::

:: 01-20 :: 21-40 :: 41-60:: 

:: 57 :: Ron Winkler :: Ivan Ivanovski

 

alpine Störung

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geh durch die Klamm, an der sich auch die Wellen brechen,

hell wie brennendes Magnesium, Sommerscheibenfleisch,

der Einfluss Chinas

schwerwiegend bis in die zu einem Lächeln ausgeformten Mundwinkel hinein,

die bei Druckverlust beinah der Riffkante

entsprechen

  ♣

dort, wo das sich einrieselnde Geröll von dir geäußert zum Geheimnis wird,

zweisam sein wie Crusoe.

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trau deiner Zunge, den Tracheen oberhalb des Gletschers,

damit die Wildtiere sich früh in der Saison an dich gewöhnen können.

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die Baumstämme von etwas wie samtener Biber überzogen.

die Baumstämme von etwas.

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im Tal (als würde ich sie kennen) Besiedelung, die als Trübung stattzufinden scheint.

das muss jetzt schleunigst aus den Tastorganen.

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Libellen, die sich viele Höhenmeter aus der Wahrheit fallen lassen,

die seien deine Innentracht.

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oder die Grillen, undurchschimmert von der Stadt.

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wie der Harzduft zirpt, wie eine Felswand ihre Tundra dir entgegenstellt.

der wunderbare Strichcode der Nadeln einer Tanne

(Fichte, Pinie, Kiefer, Lärche).

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so sich im Bachlauf neonikotinoide Sole auch vom Raubtier findet,

studiere mit verschiedenen Wettermirabellen den entstehenden Nebel

und verübe.

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leg ein Massiv zurück: vermarkte das

als „abzuwägen“, Anschubmarginalisierung:

reine Schwerelosigkeit

durch das gesamte Panorama bis zum illuminativen Hospital,

wo dich dein Handeln von Jahrhundertsommerpusteblumenflaum bedeckt

verlässt.

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dein Kopf in Schlundmoräne, Sulzluftkessel, Kletterwattgeschiebe. dein Kopf

in Giftgeäderried. an den Rainen weithin polyethylene Gärung.

dein Kopf in Ungunstlagenharsch. in Hochwald wie auch Hochasphalt.

dein Kopf in Walmbewölkung. Duftbruch. Höhenschmelze.

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dein Kopf in „sich zerfasern“, sich verlieren als angehaltener Frostraum,

Roadkill, anhaltendes Grollen. nach den Explosionen dein Kopf

in Sonnendomen, in „auf dem Kopf durch Schluchten gehen“,

wo die Sphingen wieder brüten.

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irgendwann meteorologischer Auszehrungsbeginn.

Erholung finden am dafür vorgesehenen Tropfen. 

das ist das Quellgebiet, zu dem ich tanze. an dem die Sherpas ziehen,

um Eden zu verstellen. zu betanken.

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drei Pferde ist der Park (die ich mit dir unternehmen mag).

hochgestuft zur Emotion ein Feld von Großschnee über Land und Hand gebracht.

stellvertretend für all jene, die das sahen.

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geh durch die Klamm, eine Enklave im extrazellulären Raum,

und schrei. schrei Zeit. schrei die Zeit mit Wald an.

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ich bleib. ich bleib begrifflich. ich bleib begrifflich ungebunden.

molekular verfasste Einsamkeit.

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verhusche die Orkane, die Kondensstreifen

sind schwarz.

und überschlage einige Gedankenflügler

an ihr Inneres, dass sie auf dreiundzwanzig Arten Tier sind.

nimm Horizont auf

dich. und gib den Raben etwas

Kambrium zurück.

(und Wirschbewuchs qua der bestoßenen Almen des heuer heufarbenen Plateaus.)

Ivan Ivanovski :: Schauder

 

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wie wollten wir verfahren? Flusslauf, Raureif, glühende Schläfen?

ich finde es okay, wenn Dinge irgendwann Gebirge werden.

wenn Laub und Fortbewegung ihre Alphabete ganz an dich verlieren.

so dass du sagen kannst, wir haben all die Zeit gedampft dafür,

die neu bereitgestellten Brachen abzutupfen.

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Sode, Felssturzschimmern, Abgrundstreuung, Tausendschönvergissmeinicht,

die angenehme Wut entlang von Ablenkpflanzen.

Schritt um Schritt das zeitgemäße Leuchten des Zentralgestirns

am Morgen, Phönixmoment wie die sich tief in dir entblößenden Biotope.

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ist die Erde hohl, der Boden? oder ist Magma in den Dingen?

in den vom Wege abgekommenen Eichhörnchen?

ist Magma in den Neumondnächten, die den Pass umspülen?

in den abblätternden Herrgottswinkeln. wohnt den Enzianen solches Magma

inne? den Seilgemeinschaften, die den Rand des vielleicht hohlen Ozeans markieren?

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es stellte sich so dar, dass jeder Grat wie neu gegossen war.

dass deine Spuren inhumierte Landschaft formten – Idylle nicht allein für eine

oder einen

um den Gipfel zu erreichen: deine spontane Mutation,

die Blitze auf sich zieht.

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Wasserabzug ist erforderlich, und Teufelskrallen in der Silberbäumchenniederung,

Kupferteppichpolsterwuchs voll Witwenblumen,

Mannsschild (für die Liebhaber von Trogkultur). die Raukar am Leckwerk,

waren die dir? bildete sich darin deine Sahelzone ab?

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die Wiesen waren gewispert: mädesüß und über viele Jahre sanft verstetigt.

ihnen zugefügt ein gleißendes, ein mehrfach haltbar angekreuztes Zwitschern.

noch über ihren den Himmel auslaugenden Früchten der Sendemast

für alle gängigen Delfine. dort kannst du mir die Flossen abtrainieren,

dem Existieren entzogene Wirbelsäuger sichten.

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ich habe das Rezept für diesen neuen glazialen Ortsteil. ölgetränkt und basisch.

auch er soll in der Störung liegen:

unter Schnee der Schriftgröße vierhundert.

unter sämtlichen Erscheinungsformen, seien es kryptogame Femtoorganismen

oder rückprimatisierte Lebewesen.

unter Strom, auch Perlmutt. brennend unter deinen Fingernägeln.

unter denen, denen du dich von unten nähern sollst,

gemäß der Fluchtverordnung.

unter einem Schwall der von dir selbst hervorgehobenen Gelände.

unter allen Zeichen, die wir aufgeworfen haben unter uns,

wie um zu sagen: wir zerlauben uns das nicht.

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damit du die Schutzgebiete nicht zertrittst.

mit dem leisen Murren, mit dem sich deine nackten Sohlen in den Treibkies schieben.

den Kies aus allem, was sich dort befindet.

je befunden hat.

 

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Ausschnitt aus dem Langgedicht für das Festival SlovoKult :: literARTour 2020 in Berlin ::

Teil des Buches :: Magma in den Dingen. Gedichte. Frankfurt a.M. (Schöffling & Co) 2021.

 

Aufnahme vom Stream :: SlovoKult :: literARTour 2020 ::