::Gedicht und Gebilde::
::07::Jannis Poptrandov:: Hilma af Klint::
::Jannis Poptrandov::
ZWAR GELB, JEDOCH NICHT DAS GELB
Im Lager, dreißig
Meter unter der Erde,
war es mal wieder
eng und stickig
und die Sonne
ließ sich selbst-
verständlich keine
einzige Sekunde
blicken, die gesamte
Frühlingskollektion
musste so schnell
wie möglich der
Zwischenkollektion
weichen, über
tausendsechshundert
Schuhkartons
warteten darauf
aus den Regalen
gefischt und
nach Bayern
geschickt zu werden,
direkt ins Feuer der
Mülldeponie.
Ich krallte mir einen dieser
blauen Kartons und
dann den nächsten und dann
fiel mir glücklicherweise
ein, dass vor elf Jahren
die US Armee in den
Irak einmarschierte,
dieses Jubiläum musste
unbedingt in einem
Gedicht verewigt
werden, also
schnappte ich mir
Stift und Zettel und
ließ es ordentlich
krachen. Kampfjets
dröhnten über
Bagdad, Bomben
detonierten, die
irakische Zivil-
bevölkerung
wurde in Fetzen
gerissen, die Bomben
hatten eine
ungeheure
Sprengkraft,
sie durchschlugen
sämtliche
Stockwerke
und drangen bis
tief in die Keller,
die Schutz suchenden
Familien hatten keine
Chance.
Nacht für
Nacht flogen
die Amerikaner
ihre Angriffe,
Gehirnmasse
klatschte an
die Wand,
der Vater
von acht Mädchen
verlor erst
das linke Bein,
dann das linke
Auge und dann
klingelte das Telefon.
Der Store-Manager
höchstpersönlich.
„Ja, bitte?“
„Ich benötige ganz dringend
den blauen Adistar Racer.
Größe 42. Mit gelber Sohle.“
„Alles klar. Bring´ ich dir.“
Ich zog den gewünschten Schuh
aus dem Regal, flitzte in den
Laden, warf dem aufgeregt
wartenden Kunden den Karton
vor die Füße.
„Hier. Bitte schön. Viel Spaß. Danke,
dass Sie da sind. Sie sind jederzeit
wieder herzlich willkommen. Sie
sehen heute absolut phantastisch
aus. Vielen Dank. Und bitte empfehlen
Sie uns weiter.“
Zurück im Lager kümmerte ich
mich wieder um den Krieg.
Nach jedem Luft-
angriff blieben
nur noch Klumpen
übrig. Dreißig, vierzig,
fünfzig, sechzig irakische
Körper ineinander
verschmolzen –
die Mutter mit dem
Onkel mit dem
Neugeborenen mit
der Tante, ein
gigantischer Brei
namenloser
Knochen,
vermengt mit
Haut,
Gewebe,
Haare, Gedärme,
Sand, Blut und
Metall,
ein Kunstwerk der
Hölle im Namen
der Demokratie.
Das Telefon klingelte.
Wieder der Store-Manager.
„Ich benötige ganz dringend
den blauen Adistar Racer.
Größe 42. Mit gelber Sohle.“
„Hab´ ich vor fünf Minuten
hochgebracht.“
„Die Sohle ist zwar Gelb, jedoch nicht
das Gelb.“
„Nicht das Gelb?“
„Der Kunde wünscht ein etwas
dunkleres Gelb. Das Gelb ist ihm
zu hell.“
Ich sagte nichts. Kein Wort.
„Hallo. Bist du noch dran?“
„Ja.“
„Im Internet hat er den Adistar Racer
mit einer hellgelben Sohle ent-
deckt und du hast ihm den Schuh
mit einer dunkelgelben Sohle gebracht.“
„Moment mal. Ich dachte der Kunde
wünscht seine Sohle in einem etwas
dunklerem Gelb.“
„Nein. Er wünscht seine Sohle mit
hellem Gelb. Die Sohle ist zwar Gelb,
jedoch nicht das Gelb.“

„Alles klar. Ich geh´ mal nachschauen.“
Ich rührte mich nicht vom Fleck.
„Tut mir leid. Haben wir nicht mehr.“
„Sicher? Laut System müssten noch zwei Paar in
der Größe vorhanden sein. Der Kunde hat extra bei
uns angerufen und ist dann durch die halbe Stadt
gefahren, um…“
„Nein, bei mir ist nichts.“
„Sicher?“
„Absolut.“
„Komisch. Das System scheint mal wieder
defekt zu sein.“
„Wäre ja nicht das erste mal.“
„Sind wenigstens die Schuhe schon verschickt?“
„Die Tausendsechshundert für die Mülldeponie?“
„Genau.“
„Die sind gestern raus.“
„Klasse. Dann werde ich das so weiterleiten.“
„Was ist mit meiner Gehaltserhöhung?“
„Ist beantragt, wir brauchen jetzt nur noch
das Okay vom District Manager.“
„Alles klar. Danke. Und weitermachen.“
Im Lager, dreißig
Meter unter der Erde,
war es mal wieder
eng und stickig
und die Sonne
ließ sich selbst-
verständlich keine
einzige Sekunde
blicken, die Amerikaner
mussten nur viereinhalb
Tote beklagen, die Insassen
zweier Hubschrauber, die
ineinander krachten und
einen betrunkenen G.I.
der seine Waffe putzte,
Saddams Zähne wurden
noch rasch auf Karies
untersucht und schwups
schon baumelte er
am Galgen, die Amis
hatten keinen Plan wie
es weitergehen soll, bald
detonierten die ersten
Bomben, selbst in der
grünen Zone und nicht
nur dort, überall explodieren
Sprengstoffgürtel, in Basra,
Kirkuk, Tikrit, in Moscheen,
vor Krankenhäuser, auf Hochzeiten,
und plötzlich, wie aus dem Nichts,
tauchen radikale Extremisten auf,
keiner weiß, wo die jetzt auf einmal
hergekommen sind, und Dorfbewohner
werden gesteinigt, Journalisten enthauptet,
Giftgasfabriken erobert – Du und ich,
wir gehen weiter fleißig Turnschuhe kaufen
und Schnürsenkel, Eierbecher,
Holzschutzmittel, Winter-
reifen und in hundert
Jahren wird es immer noch
Versicherungen gegen
Haarausfall geben und die
Frühlingskollektion wird der
Zwischenkollektion weichen,
die Erde dreht sich schneller
und schneller, immer weiter
und weiter, solange bis sie
irgendwann auf den Mond
kotzt.
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Hilma af Klint::The Dove no. 13::1915