AUSSAGE :: gegen :: AUSDRUCK

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:: МАКЕДОНСКИ :: објавен на РЕПЕР

Elizabeta Kostadinovska (Text) :: Dijana Tomik Radevska (Bild)

:: Erinnerung an die Zeit, als die Bäume abtrieben :: Berührung ::

Aus dem Mazedonischen ins Deutsche übersetzt von der Autorin :: Das Original ist von 1995 und erschien zum ersten Mal 2023 im Erzählband ::

Elizabeta Lindner Kostadinovska :: Систем на сетилности (System der Empfindsamkeiten), Antolog, Skopje – der Titelbild und die Illustrationen im Buch sind auch von Dijana Tomik Radevska :: PDF des Buchumschlags –> sistem_na_setilnosti

Es war Herbst. Ich weiß nicht, ob er kalt war, denn ich war in ein Wesen mit steinerner Haut und einem eisernen Herzen verwandelt, und durch mein aus Metall gefertigtes Nervensystem floss rot gefärbtes Wasser. Über mein Gesicht hatte ich denselben versteinerten Ausdruck, den ich mir nicht bewusst war. Egoistisch sparte ich meine Worte; am häufigsten wurden sie zu einem gebrochenen Echo, das gegen die Mauern meines Unbewussten schlug. Wer würde sagen, dass eine solche Konstruktion ein Charisma besitzen könnte?

Es stellte sich heraus, dass ich etwas Gewisses besaß, etwas, was der Wiener Regen nicht berühren, nicht wegwischen, nicht verrosten konnte. Etwas, was ein Paar wunderschön närrischer Menschen zu mir hingezogen hatte, die sich von meiner Kälte ernährten, meine Gleichgültigkeit respektierten und sich in meine Melancholie verliebten.

Zu der Zeit der grausamen Kälte fand ich oft Zuflucht im umliegenden Wiener Wald, wo an den sonnigen Tagen die Wiener Hunde ihre Freiheit lebten. Wahrscheinlich lebte ich genauso meine eigene.

Da ich nichts besaß und auf der Suche nach meinem eigentlichen Eigentum war, fand ich eine einsame Bank und nannte sie „meine“. Ich hatte Bedarf nach einer geheimnisvollen Energie, die mir mein Dasein erleichtern sollte.

Da eröffnete sich eine neue innere Perspektive, durch die das Leben eine andere Energie absorbieren konnte, die, obwohl man sie als destruktiv bezeichnen könnte, jedoch unwiderstehlich war. Sie strahlte von den Bäumen aus, die mich umkreisten: Stolz aufgerichtet, mit üppigen Baumkronen ließen sie meine ohnmächtige Sehnsucht flüchtig wiederkehren, das längst vergessene Wort „Liebe“ wieder in meinem Vokabular auftauchen, die lästige Einsamkeit ihren Sinn zurückgewinnen. Ich bewunderte sie, ich betete sie an.

Das dauerte bis zum Augenblick, wo ich bemerkte, dass diese verzweigten Wesen nicht vollkommen sind: Sie versuchten sich von ihrer Empfängnis zu befreien. Sie entzogen den winzigen Zweiglein ihre natürliche biologische Entwicklung und ließen sie verkümmern, sie verstümmelten ihre Kleinen bis zur Verkrüppelung. Sogar ihre Form erinnerte an einen menschlichen Fötus.

Es war mir, als ob ich den ewigen Prozess der Mutter Natur wieder entdeckt hätte: Sie schafft und verstümmelt, kreiert und zerstört…Und der Mensch ist ihrer Macht ausgeliefert.

Ich wollte wissen ob auch der Mann dasselbe bemerkt hätte. Der Mann, dessen Eigentum sich auch an diesem Ort befand. Er saß immer auf seinem Klappstuhl, immer auf derselben Stelle, immer mit einer karierten Decke über den Schoß bedeckt. Er schien, als ob er den Rest der Welt ignoriert hätte. Er schrieb lange, in seine Blätter vertieft. Ab und zu warf er ein buntes Bällchen seinem lieben und lästigen Pudel zu. Wahrscheinlich war er Schriftsteller und lebte seine Freiheit genau an diesem Ort. Als er nicht da war, vermisste ich ihn. Ich hatte ihn nie gegrüßt, aber schweigsam und tief beachtete ich ihn.

Endlich hatte ich Bedarf mit jemandem zu reden. Ich entschloss mich den Mann nach seiner Meinung über die Bäume zu fragen, aber er kam nicht mehr. Sowieso war es schon Winter.

Irgendwie überlebte ich den Winter, ständig mit ihm um den niedrigeren Kältegrad konkurrierend. Ich war die Führende.

Als die Sonne die ersten langen Schatten der Dächer auf die Strasse warf, dachte ich wieder an meine Bank, an die Bäume, die abtrieben, an den Mann.

Meine Bank war besetzt.          Eine, in schwarz gekleidete Frau saß da und las ein Manuskript, ab und zu richtete sie ihren Blick zu den Bäumen. Ich fühlte eine Mischung aus Ärger, Zorn und Trauer. Ich grüßte sie und bat sie höfflich um Erlaubnis, mich auf die Bank (meine Bank!) zu setzen. Sie nickte.

Plötzlich zog der liebe, lästige Pudel meine Aufmerksamkeit auf sich an, und mit Erregung erwartete ich, dass auch der Mann erscheint. Ich wollte gerade aufstehen und das süße, weiße tollpatschige Wesen streicheln, als es sich zur Bank begab, um das Bällchen in den Schoß der Frau fallen zu lassen. Zum ersten Mal, nach längerer Zeit konnte ich Kälte spüren.

Die Frau legte das Manuskript auf die Bank, warf das Bällchen wieder und sah lange zu den Bäumen. Während dessen schaffte ich es, die folgenden Sätze aus dem Manuskript zu lesen: „Der ewige Prozess der Mutter Natur: Sie gebärt und treibt ab, sie schafft und verstümmelt, sie kreiert und zerstört. Sie ist allmächtig. Das Mädchen wusste es, deswegen konnte sie nie auf ihre Weiblichkeit stolz sein.“

Ich empfand einen scharfen Stich in den Eingeweiden. Es lief mir kalt über den Rücken. Schnell und verwirrt verabschiedete ich mich von der Witwe und ging. Ich spürte Wärme in ihrem Blick, der auf meinem Rücken ruhte, aber ich drehte mich nicht um, und ich kam nicht zurück. Nie wieder.

 

Elizabeta Kostadinovska (text) :: Dijana Tomik Radevska (picture)

:: Remembering the time when the trees aborted :: Touch ::

Translated from Macedonian into German and English by the author :: The original is from 1995 and was first published in 2023 in the story collection ::

Elizabeta Lindner Kostadinovska :: Систем на сетилности (System of Sensibilities), Antolog, Skopje – the cover and the illustrations in the book are also by Dijana Tomik Radevska :: PDF of the book cover –>  sistem_na_setilnosti

It was autumn. I don’t know if it was cold, because I was transformed into a creature with stone skin and an iron heart, and red colored water flowed through my nervous system made of metal. Across my face I had the same petrified expression that I was unaware of. Selfishly, I spared my words; most often they became a broken echo beating against the walls of my unconscious. Who would say that such a construction could possess charisma?

It turned out that I possessed something certain, something that the Viennese rain could not touch, could not wipe away, could not rust away. Something that had attracted a couple of beautifully foolish people to me, who fed on my coldness, respected my indifference, and fell in love with my melancholy.

At the time of the cruel cold, I often found sanctuary in the surrounding Vienna Woods, where on sunny days the Viennese dogs lived their freedom. I probably lived my own as well.

Since I owned nothing and was looking for my true belongings, I found a lonely bench and called it „mine“. I was in need of a mysterious energy that would make my existence easier.

A new inner perspective opened up, through which life could absorb a different energy, which, although it could be described as destructive, was irresistible.

It radiated from the trees that surrounded me: proudly erect, with lush treetops, they allowed my impotent longing to return fleetingly, the long-forgotten word „love“ to reappear in my vocabulary, the tiresome loneliness to regain its meaning. I admired it, I worshipped it.

That lasted until the moment I realized that these branched beings were not perfect: They were trying to free themselves from their conception. They deprived the tiny twigs of their natural biological development and let them atrophy, they mutilated their little ones to the point of crippling them. Even their shape was reminiscent of a human fetus.

I felt as if I had rediscovered the eternal process of Mother Nature: she makes and mutilates, creates and destroys… And the human is at her mercy.

I wondered if the man had noticed the same thing. The man whose belongings were also in this place. He always sat on his folding chair, always in the same place, always covered with a plaid blanket over his lap. He seemed as if he had ignored the rest of the world. He wrote for a long time, immersed in his papers. Every now and then he threw a colorful ball to his lovely and annoying poodle. He was probably a writer and lived his freedom in this very place. When he wasn’t there, I missed him. I had never exchanged greetings with him, but I silently and deeply respected him.

I finally felt the need to talk to someone. I decided to ask the man for his opinion on the trees, but he didn’t come back. It was already winter anyway.

Somehow, I survived the winter, constantly competing with it for the lower degree of cold. I was the leading one.

As the sun cast the first long shadows of the roofs on the street, I thought again of my bench, of the trees that were aborting, of the man.

My bench was occupied. A woman dressed in black sat there reading a manuscript, occasionally turning her gaze to the trees. I felt a mixture of annoyance, anger, and sadness. I greeted her and politely asked her permission to sit on the bench (my bench!). She nodded.

Suddenly the lovely, annoying poodle attracted my attention, and with excitement I expected the man to appear too. I was just about to get up and stroke the cute, white clumsy creature when it went to the bench to drop the ball in the woman’s lap. For the first time in a long time, I could feel cold.

The woman put the manuscript on the bench, threw the ball again and looked at the trees for a long time. Meanwhile, I managed to read the following sentences from the manuscript: „The eternal process of Mother Nature: she gives birth and aborts, she creates and mutilates, she creates and destroys. She is omnipotent. The girl knew it, which is why she could never be proud of her femininity.“

I felt a sharp stab in my guts. A chill ran down my spine. Quickly and confused, I said goodbye to the widow and left. I felt warmth in her gaze as it rested on my back, but I didn’t turn around and I didn’t come back. Never again.